Die Sonne scheint und scheint und scheint. Gute
40°C hat es draußen, der Boden ist staubtrocken. Es geht kein Lüftchen, um
unsere dahingarenden Körper zu kühlen. Das Trinkwasser des Hofes ist in einem
Eimer gelagert. Geschmacklich erinnert es mich an das Waldbad, in das wir seit
frühester Kindheit mit meiner Mama im Sommer gehen, wenn es uns zu heiß wird.
Sehnsüchtig denke ich nun an die erfrischenden Becken, die kurvige Rutsche - es
nutzt alles nichts. Ich lege mein 700 Seiten starkes Buch zur Seite, kraxel aus
der Hängematte und schlurfe an Hunden, Truthähnen, Hühnern und einem Ferkel
vorbei zu Doña Edith.
Der Hof gehört ihrer Mutter. Einen Großteil ihrer
Kindheit ist sie hier mit ihren vielen Geschwistern und Halbgeschwistern
aufgewachsen. Als der Krieg kam, flüchtete sie nach Costa Rica. Auf dem Gebiet
des río Sonador erhielt sie von der frisch gegründeten Cooperativa Longo Mai
Land für sich und ihre Familie. So hatten wir das Glück, knapp 20 Jahre später
dem quirligen, lauten, humorvollen Finca-Urgestein in unserem Projektplatz zu
begegnen. Wir verstanden uns gleich blendend. Sie lud uns ein, ihr stark
gebeuteltes Heimatland und ihre Familie kennen- und lieben zu lernen. Es
passiert nicht jeden Tag, dass sich die Möglichkeit auftut, ein neues Land von
Innen, ohne Backpacker erkunden zu können; eine solche Reise hat stets eine
ganz besondere Intimität. Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen sind vielfach
intensiver, Spannung liegt in der Luft; zumal bei einem Land wie El Salvador.
Das Auswärtige Amt schreibt:
„El
Salvador weist in Lateinamerika und weltweit eine der höchsten
Kriminalitätsraten auf. Die Gefahr von
Gewaltverbrechen - insbesondere in der Nähe der touristisch interessanten
Vulkane und am Strand - ist überaus hoch, die Hemmschwelle beim Gebrauch von
Schuss- oder Stichwaffen niedrig. Im Falle eines Überfalles ist es dringend
geboten, auf Widerstand zu verzichten.
Bewaffnete Raubüberfälle, Diebstahl (...), aber
auch Morde und Vergewaltigungen sind sehr häufig zu verzeichnen. Hinzu kommen
Entführungen und Erpressungsdelikte gegenüber dem Kleingewerbe, Privatpersonen
und insbesondere dem öffentlichen Nahverkehr. Von der Benutzung öffentlicher
Busse wird dringend abgeraten. Die Fahrzeuge sind nicht in verkehrssicherem
Zustand. (...) Die Fahrt in zugelassenen Taxis ist daher der Benutzung von
Bussen in jedem Fall vorzuziehen.“
Also alles andere als Pauschaltourismus. Viel
größer als unsere Bedenken ist aber unsere Vorfreude auf der mehr als 20-stündigen Busfahrt via Nicaragua,
Guatemala, Honduras.
Doña Edith drückt Simon und mir eine pralle, reife
Mango in die Hand. Wir stöhnen – es ist die achte an diesem Morgen. Trotz der
Trockenheit strotzt El Salvador vor Mangos über. Wohin auch das Auge blickt
Mangos: Mangobäume, reife Mangos auf dem Weg, Mangoverkäufer am Wegesrand,
grüner, gesalzener Mangosnack zum Bier, Mangosaft, Mangoeis, Mangas,
Mangoplantagen und zwischendurch noch größere Mangobäume. Wir fühlen uns an den
Rand der Völlerei gedrängt und machen einen Ausflug.
Geplant ist eine große Vulkantour. Unsere erste Station heißt San Andrés. Der
Vulkan gehört zu einem der aktivsten weltweit und brach erst in den 90er Jahren
das letzte Mal aus, wobei er seine Lava in einem Umkreis von 15 Kilometern
verteilte und u.a. die Panamericana durchfraß. Am Rand der Autobahn stehen wir
vor gigantischen Gesteinsmassen. Das Lavagestein ist rußschwarz und
federleicht. Bisher kannte ich das Material nur aus dem Aquarienfachhandel. Ich
stecke mir ein kleines glitzerndes Bröckchen ein und steige wieder auf die
Ladefläche unseres Pick-Ups. Der nächste Halt, die Kraterlagune von Coatepeque,
führt uns vorbei an einem wuderschönen Dorf. Bunte Fincas werden von myriaden
bunter Blumen umsäumt. Dicke Autos, ein Golfplatz, Wassersportanlagen... „hier
leben also die reichen Salvadoreños“. Am Hang des Kraters halten wir und
trinken ein kühles Bier. Der Ausblick auf die untenliegende Lagune ist
atemberaubend.
(Foto von www.ecotourspetate.com. Wir hatten leider keine kamera in El Salvador. Das Wasser war bei unserem Besuch glasklar, verändert jedoch durch vulkanische Aktivität seine Farbe. Nach dem letzten Ausbruch wurde es Gelb.)
Am Wasser selbst geht eine erfrischende Brise. Alles riecht nach
Leben, nach Erholung. Ich lasse die Luft tief in meine Lungenflügel einströmen.
Paula möchte unbedingt schwimmen in dem klaren, ruhigen Wasser. Mir wäre eher
nach einer Fahrt mit dem Jetski. Unserem Fahrer Gérman wohl auch, denn auf dem
Weg nach Juayua gibt er Gas. In strahlendem Sonnenschein erglänzt die weiße
Kirche des Ortes mit ihrem Springbrunnen. Juayua ist neben Suchitoto und der
Hauptstadt die einzige touristische Stadt, die wir während unseres gesamten
Aufenthaltes in El Salvador entdecken. Und selbst hier ist der Touristenandrang äußerst bescheiden. Dafür ist
das Zentrum in der Osterzeit gefüllt mit Salvadoreños, die sich über eine
kulinarische Meile probieren. Fleisch, soweit der Blick reicht. Von jedem Tier,
auf jede Zubereitungsart. Ich lasse schließlich den gegrillten Frosch für 8$
links liegen und entscheide mich mit Paula für einen Steakteller, der 5$
kostet. Auf unsere ein-Meter-Fleischauslagen werden jeweils drei gegrillte
Langusten gelegt, ein traditionelles Würstchen, Käsepopusas, Kartoffeln und
Salat. Ich bin eigentlich kein Freund von Steaks, dieses Familiengen ist mir
irgendwo abgegangen, aber bei diesem Meisterwerk der menschlichen Grillkunst
zergeht jeder Bissen auf der Zunge wie Butter! Völlig befriedigt schlendern wir
noch über den Artesanía Markt und brechen dann auf zum Volcán St. Anna mit
seinem „camino de las flores“, also „Weg der Blumen“. Zwar sehen wir von
letzteren keine, dafür aber eine wunderschöne, grüne Landschaft, die mich stark
an das rheinland-pfälzische Moseltal erinnert. Noch als wir bei Sonnenuntergang
den Heimweg einschlagen, thront in der Ferne der anmutige Vulkan in die Höhe.
Unberührte, imposante Naturschönheit ist ein Punkt,
der sich bei mir als charakteristisch für El Salvador eingebrannt hat, Müll ein
anderer. Wie traumhaft die Umwelt vielerorts auch sein mag, meist fällt sie gar
nicht auf unter den Bergen von Unrat, die das ganze Land dekorieren. Was
generell in Lateinamerika ein großes Problem ist, findet dort seine traurige
Zuspitzung. Schon in der Nacht unserer Ankunft sahen wir die Weiden und Bäche
von Chipstüten oder Colaflaschen silbrig im Mondschein glänzen. Mit der ganzen
Familie auf dem Weg zum Markt in den nächstgrößeren Ort Aguilares, muss ich
mich stark zurückhalten, nicht aufzuspringen, als die Leute munter beginnen,
ihre Fresstüten oder Trinkpäckchen aus dem Bus zu werfen. Ich erinnere mich
unweigerlich an eine Szene in meiner Kindheit, als ich bei meinem Opa im Auto
saß. Er hatte mir einen Kaugummi geschenkt; ausgekaut, ohne geschmack wollte
ich ihn loswerden, fand aber kein Papier. Meine Oma hätte mir bald eine
Trachtprügel verpasst, als ich ihn schließlich schnell und vermeintlich
heimlich aus dem Fenster warf. „Du Schwein! Ein armes Vögelchen pickt ihn dann
später auf und erstickt dran, weil es den Schnabel nicht mehr aufkriegt. Und
das nur, weil du nicht bis zum nächsten Mülleimer warten kannst, pfui!“ Ihre
Worte hallen mir im Ohr und mir wird erneut klar, wie unschätzbar wichtig
Umwelterziehung für Kinder ist.
Erst wenige Tage zuvor hatten Paula und ich ich einem von Ediths Neffen
erklärt, dass seine aufs Feld geschmissene Saftpackung als Gift ins Grundwasser
geht, das er dann wiederum trinkt oder im Essen hat. Mit großen Augen hatte er
uns angeschaut. Am nächsten Tag schmiss er mit seinem Cousin achtlos eine
Eispackung weg, um sich schliesslich zu berappeln und diese wieder aufzuheben.
„Wir finden einen Mülleimer.“ Ich hatte kaum Zeit gehabt, stolz zu sein, da
riss ihm seine Tante das Plastik auch schon wieder aus der Hand und warf es
erneut in die Natur. „Mülleimer gibt es hier eh keine. Traurig aber war. Es
müsste mehr Aufklärung in den Schulen geben.“
Am Wegesrand ragte ein offizielles Schild in die Luft „no botar basura“, „keinen
Müll wegwerfen“, das ironischer Weise bis zur Hälfte der Pfosten in Abfall stand
und ich bildete mir ein, es lächelte mich hämisch an. En demotivierendes
Erlebnis.
Staub und Smog liegen in der Luft. Wir sind auf dem
Markt angekommen. Der Bus hat eine „Cora“ gekostet für eine halbe Stunde Fahrt.
In El Salvador wird mit US-Dollar bezahlt. Nach all unseren Erlebnissen mit
Lateinamerikanern und ihren Englischkenntnissen, wundert uns der Weg vom
„Quarter“ zur „Cora“ allerdings nicht mehr.
Stundenlang drängen, kaufen wir uns durch enge Gassen, vollgestopfte Straßen.
Zwischen uns runtergekommene Autos, hupende „Tutus“, „Mototaxis“ und ab und zu
ein aufgescheuchtes Huhn. Bunte Stände reihen sich durch eine Halle, Tonnen an
Lebensmitteln werden hier feilgeboten. Menschenmassen begrapschen Berge von
Fleisch, wie an einem Wühltisch, an dem jeder das beste Teil zum günstigsten
Preis erhaschen will. Eine alte Frau wischt sich den Schweiß von der Stirn, es
ist stickig. Sie betastet noch einmal die Schweinsfasern und gibt es der dicken
Metzgerin zurück. Die drückt es einer anderen Frau in die Hand. Sie tastet,
reibt und befndet es ebenfalls als unzureichend qualitativ. Eine andere dicke
Metzgerin hängt es achselzuckend wieder an den Haken.
Von nebenan preist ein
Obstverkäufer seine Mangos an. In einer Nebenhalle schleifen Männer Macheten
auf großen elektrischen Schleifsteinen. Ich kann nicht anders, als mir eine
kleine Schönheit der Größe 12 mit dazu passender Scheide zu kaufen. Die
Macheten in Costa Rica kommen alle aus El Salvador, der Stahl ist populär und
hier kostet es eben halb so viel. Die Funken sprühen, als mein Messer den
letzten Schliff erhält.
Mir ist heiß, ich brauche etwas zu trinken. „Was kostet der Fresco?“, frage
ich. „Eine Cora“. Der Mann drückt mir eine Plastiktüte mit Strohhalm entgegen.
Ich spucke aus. Mein Herz rast, ich spüre, wie ich Diabetes bekomme. Ich war ja
schon einiges aus Costa Rica gewöhnt an Süße, meine Toleranzgrenze war bereits
in die Höhe geklettert, nicht zuletzt im Haus von Doña Marta, aber das?! Am
nächsten Stand verkaufen sie Kokoswasser. Kaum hat die „Cora“ ihren Besitzer
gewechselt, gleiches Spiel. „Da bleibe ich lieber durstig.“ Ich schmeiße meine
Plastiktüte in den einzigen Mülleimer, den ich in der ganzen Stadt gesichtet
habe. Als jeder derart beladen ist mit erfeilschten Einkäufen für Ostern, dass
keine Hand zum Tragen mehr frei ist, treten die anderen den Heimweg an. Wir
fahren mit Edith weiter nach Suchitoto und besuchen schließlich eine andere
Vulkanlagune von San Juan auf der viele Fischer ihr Glück versuchen. Im Bus
skandiert eine Stimme „Agua fresca“. Ich freue mich. „Ein Wasser bitte“, sage
ich. Ich bekomme eine Plastiktüte hingereicht. Kopfschüttelnd trinke ich aus
einer Ecke der Packung und bemühe mich, nichts zu verschütten. Das Wasser
schmeckt nach Plastik. Eine Perversion der Superlative.
„Strike“. Ich treffe den Ball gut, als wir am
nächsten Tag eine Baseball-Abwandlung auf einem Ascheplatz spielen, die
salvadorenischer Nationalsport ist. Kein Wunder, denn die Wurfbälle sind
deutlich größer als die kleinen, die ich vom US-Baseball gewöhnt bin. Wir
verbringen den Tag bei Verwandten Paulas ehemaliger Gastmama Virginia. Am
Höhepunkt des Tages klettern wir durch das halbe Cerro von Guazapa, kreuzen
einen Bienenschwarm, um schließlich an einem pompösen Mangobaum rauszukommen.
Am Abend rösten wir Ceshew-Nüsse. Das tanzende, bleckende Feuer, das sich
auftürmt, wenn die Kerne ihre Milch rausschleudern, ist teuflisch schön.
Die ganze Familie hat sich auf dem Hof versammelt,
als am Ostersonntag gefeiert wird. Es werden Tamales gemacht und eine befreundete
Mariachi-Band ist eingeladen. Bis spät in die Nacht wird gelacht und getanzt.
Die Trauer um Jesu Kreuzigung am Karfreitag mit den schwermütigen Prozessionen
ist vergessen. Gleichzeitig ist es auch Paulas letzter Tag, ehe sie nach Mexico
weiterfliegt.
Da es immer heißer wird, fahren wir zum río Lempa.
Anders als die Dorfbewohner, finden Simon und ich den Fluss nicht schön, dafür
aber umso mehr die Landschaft auf dem Weg dorthin im Käfigtaxi. Wir grillen ein
Hähnchen, essen Mangos, entdecken den Nationalvogel El Salvadors, der zwei
kleine Dartpfeile als Schweif hat, und bestaunen die Riesenbeute einiger
Fischer. Meine Erklärungsversuche, Fische besäßen keine Lungen, es handele sich
um die Schwimmblase, bleiben zwar fruchtlos, dafür darf ich Kajak fahren mit
einem riesen Wels an Bord. Der Sonnenuntergang auf dem Rückweg über den Cañals
ist einer der schönsten, die ich je gesehen habe.
Gegen Ende unseres Urlaubs besichtigen wir beeindruckende Mayaruinen,
Zeugnisse vergangener Glanzepochen des Landes – noch lange und länger bevor der
Bürgerkrieg, ein großer Vulkanausbruch, ein verheerendes Erdbeben und
schließlich Armut, Korruption und Gewalt, oft in Form von Maras das Land
beuteln.
Trotz der traurigen Vergangenheit und den sichtbaren, spürbaren Folgen bis in
die heutige Zeit, haben wir ein wunderschönes Land mit vielen Facetten erleben
dürfen. Die Menschen waren unfassbar herzlich sowie gastfreundlich. Die
Mehrheit der Menschen hat merkbar die Nase voll von Gewalt und Armut; sie
stecken ihre Energie lieber in den Aufbau des Landes. Ein schleichender
Prozess, der aber dennoch nach Aussage unserer Gastgeber deutliche Früchte
trägt. Persönlich kann ich von einem Urlaub in El Salvador nicht abraten, im
Gegenteil. Allerdings sind gewisse Spielregeln zu beachten und ich würde
niemandem empfehlen, allein zu reisen – das ist ohnehin langweilig.
Zurück in Longo Mai lasse ich gerade meine ganzen Eindrücke sacken. Besonders
spannend finde ich, wie sehr Costa Rica sich von allen anderen Zentral- sowie
Südamerikanischen Ländern unterscheidet. Direkt die erste Woche ging ich aufs
Cañal mit Pecho, um mich von der ganzen Ruhe abzureagieren. Was mir mein Körper
zunächst beleidigt mit Schmerzen quittierte, war ab dem dritten Tag überhaupt
kein Problem mehr. Jetzt bin ich schon fast ein wenig traurig, dass die
Zuckerrohrzeit zu Ende geht. Der Regen setzt wieder ein. Die Machete bleibt
dann öfter zu Hause. Vielleicht bleiben ja die neuen Muskeln noch etwas.
Zur Zeit arbeite ich viel im Projekt von Guadalupe,
suche ausländische Entsendeorganisationen oder übersetze Projektpapiere.
Außerdem laufen die Unterrichtsstunden weiter und geordneter als je zuvor, was
den kleinen Ordnungsfanatiker in mir zufrieden stellt.
Ehe Paula zurück kam, habe ich natürlich auch am Baumhaus weitergearbeitet, so
langsam drängt die Zeit! Hier ein Foto von dem nun endlich fertigen
Grundgerüst:
Außerdem ist unser Spendenaufruf auf „senciety.org“ ausgelaufen. Knapp 200€ kamen zusammen. Vielen, herzlichen Dank an jede Spenderin und jeden Spender!!! Besonders möchte ich mich an dieser Stelle noch bei Martin (urleiwand!) und Daniel bedanken!!!
Zusammen mit dem Geld von „Celli con Carne“, die weitere 100€ in der
Weihnachtszeit auf der kölner Schildergasse erspielten, haben wir nun offiziell
das Geld für unser Baumhaus zusammen!!!!!!! *Korkenknall. Lieber Fred, liebe
Fleischchellisten, ihr seid die besten!!!
Wir halten euch auf dem Laufenden und jetzt, wo Paula aus Mexico zurück ist,
starten wir mit dem Jugendzentrum voll durch.