Samstag, 24. November 2012

Peter Lustig wäre neidisch!

Noch ein Monat bis heilig Abend und ich habe nicht nur das Weihnachtspäckchen für Familie und Freunde bereits versendet, sondern mir mein eigenes Weihnachtsgeschenk bereits gemacht: Ich werde im März nach Ecuador fliegen, um Valerie und die anderen Freiwilligen in Quito zu besuchen! Ich kann es noch gar nicht fassen, aber dafür habe ich auch noch Zeit.
Am Freitag war ich mit Lena in Buenos Aires auf einer reunion mit der Frauengruppe. Frauengruppen aus der ganzen Region kamen zusammen und tauschten sich aus. Am Ende hatten wir großen Spaß sowie alle Kontaktdaten inklusive Einladungen, von welchen wir gerade eine wahrnehmen. Wir befinden uns in La Luchita bei La Lucha nicht unweit von La Cruz bei Portero Grande, das an den Nationalpark La Amistad angrenzt, nahe des Arsches der Welt. Das Dorf besteht aus 50 Personen und der Kern ist vom Rest tatsächlich so weit weg, wie es sich anhört.
Bei unserer Ankunft fühlten wir uns wie im Wilden Westen. In einer Saloon-Soda mit Schwingtür aß ich die bisher leckerste empanada in Costa Rica. Mit fresco gestärkt machten wir uns in der sengenden Hitze auf den Weg zwölf Kilometer durch die Berge. Wie töricht, zu glauben, wir hätten die Strecke bergauf, bergab durch einen Kessel der Cordelliere auch zu Fuß schaffen können! Zum Glück nahmen uns erst ein Pfarrer, später einige Campesinos auf ihrer Ladefläche mit.
Und da war dieser ganz spezielle Moment: Wenn du in Gummistiefeln einen steinigen Pfad hochsteigst, hinter dir nähert sich klackernd eine Staubwolke, du pfeifst, das Auto bleibt stehen, du springst gekonnt auf, schiebst Macheten sowie Kaffeesäcke zur Seite und lehnst dich an den Rand der Ladefläche. Das Auto fährt los, du hältst dich fest, dein Gesäß freut sich über all die prächtigen Schlaglöcher; während dir bei Tempo 60 bergab der Wind die Haare zerzaust, schaust du auf leuchtend grüne Landschaften, Viehherden, Palmen, nebelumspielte Berge und in einen strahlend blauen Himmel. Und du denkst dir… nichts Besonderes. Genau! „Schön hier“, vielleicht, aber nichts weiter – zu sehr hast du dich bereits an diese unglaubliche Naturpracht, diesen anderen Lebensstil, an ein „pura vida!“ gewöhnt.
Ein neues Gefühl, ungewohnt, aber irgendwie erhebend. Auch mit der Sprache läuft es mittlerweile fließend, ich erkenne einen Sternfruchtbaum an der Blattform, überhaupt weiß ich, dass Carambolas am Baum wachsen, bin im Tagesablauf der Ticos angekommen, selbstverständlich benutze ich meine Machete als Werkzeug, gehe in den Regenwald oder betrachte gelangweilt abwechselnd die handtellergroße Küchenschabe, dann die faustgroße Spinne im Bad.
Momentan frage ich mich, wie es sich in weiteren drei Monaten anfühlen muss. Gerade wirkt alles unglaublich vertraut, immer mehr intime Beziehungen tun sich auf. Das alles schafft ein Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und auch Heimat. Wird das alles umschlagen in Routine, in Langeweile? Irgendwie kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen, dafür erlebe ich viel zu viel, habe zu viele interessante Projekte. Ich weiß es nicht, aber ich werde weiter berichten.
In wenigen Minuten gehen wir mit einem Biologen und einigen Interessenten aus dem Dorf in den Regenwald, um die Nacht über Spinnen, Amphibien und Reptilien zu beobachten. Man schätzt 75% aller Tierarten in Zentralamerika sind noch unentdeckt. Peter Lustig wäre neidisch! Ich bin aufgeregt wie ein kleiner Junge. Wissenschaft zum Anfassen, auf den Spuren von Darwin und Co. Tuanis!

Montag, 19. November 2012

Yin & Yang

Jetzt habe ich mich eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gemeldet und es ist in der Zwischenzeit sehr viel passiert. Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass wir vor allem produktiv gearbeitet haben an unseren diversen Projekten; neue Vorhaben wurden angegangen. Neben der regen Beschäftigung war ein Hauptgrund für das Ausbleiben eines Lebenszeichens, dass sowohl Paula als auch ich relativ zeitgleich unsere erste emotionale Talfahrt durchmachten. Es bedurfte einer Weile, jeweils seinen Platz innerhalb einer Gemeinschaft von unterdessen 21 (!) Freiwilligen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie auf der anderen Seite innerhalb des Dorfes zu finden.
Nachdem die Sonne, nicht nur metaphorisch, wieder aufgegangen war in Longo Mai – der Hurrican Sandy unterstrich passenderweise zur gleichen Zeit das Ende der Regenzeit, indem er große Teile Costa Ricas unter Wasser setzte, – ging es auch mit der Laune wieder stark bergauf.
Wir erstellten einen neuen, deutlich günstigeren Kostenvoranschlag für unser Baumhaus, hatten weiterhin gleichermaßen erfolgreiche wie lustige Treffen mit der Jugendgruppe und schmissen uns in Arbeit.







Außerdem standen die letzten Wochen im Zeichen der Tiere: In der Casa Zivi haben wir mittlerweile eine Babykatze „Yuca“, andere Freiwillige haben einen Hundewelpen „Heidi“, ein einsames Küken hat mich als Mutter angenommen „Chichi“ (ich bin recht stolz, sie kann schon ihren Namen sagen!), eine handballgroße Kröte besucht mich nächtlich auf dem Klo, vor kurzem beehrte mich eine winzige Landschildkröte und wir fanden einen am Flügel verletzen Kolibri, den wir mit Honigwasser aufpäppelten.
Nun kann man es abergläubisch ein Omen nennen oder nicht, aber Chichi verstarb unlängst, was mir Dona Marta drei Tage später nebenbei mitteilte und der Kolibri beging Suizid – erst stürzte er sich lebensmüde in einen reißenden Fluss bei einem Wasserfall, dann, nachdem ich ihn gerettet sowie getrocknet hatte, sprang er energisch mit dem Kopf solange gegen eine Wand, bis er zitternd das Leben aushauchte...
Bei aller Todestragik in der Tierwelt, blieb die Lebensfreude der Menschen in Sonador ungetrübt. Wir veranstalteten ein Konzert für die Dorfgemeinschaft, auf dem wir mit Safranbrot auftraten sowie einige Stücke mit David und Stefi einstudierten. Mit der Jugendgruppe verkauften wir Speisen und Getränke, um für unser Baumhaus Gelder zu sammeln. Die Initiative unser Truppe war und ist beeindruckend: Sie kümmerten sich eigenständig um die Organisation, bereiteten die Verpflegung vor und verwalteten das Geld. Nach dem Konzert säuberten sie das gesamte Rancho, bevor sie ohne unser Wissen spontan eine reunion einberiefen, zu der wir schließlich aufgeregt eingeladen wurden! Sie zählten das Geld gemeinsam aus, später im Anschluss gab es eine fiesta mit Musik und ohne Alkohol. Alle wurden zum Tanzen aufgefordert und wer nicht freiwillig kooperierte, wurde in einen wild umherspringenden Kreis aufgenommen. Pünktlich vor der Nachtruhe wurde ohne Aufforderung unserer Seite aus die Musik ausgemacht.
Es bedarf wohl keiner weiteren Worte mehr, um sich vorstellen zu können, wie stolz wir auf die Mädchen und Jungs sind!!!
Folgerichtig wurde dann auch das Lagerfeuer am Guanacaste mit der Truppe wunderschön. Wir hüteten die Stelle bis spät in die Nacht, lagen unter freiem, glasklarem Himmel und beobachteten die abermilliarden Sterne (alle Sternbilder sind hier falsch herum...) Besonders gefiel es mir, Stockbrot in Costa Rica zu machen. Genau wie die Weihnachtsplätzchen, die Pau und ich mit Miel de Coco, Miel de Limon und Miel de Carambola verfeinerten (an dieser Stelle ein herzlicher Dank an meine Mama, die mir allerlei Backzutaten aus der Heimat geschickt hat, um die Weihnachtsbäckerei von Longo Mai zu eröffnen), stand es für mich als perfekte Symbiose zwischen Deutschland und Costa Rica. Dass sich beides mittlerweile prima miteinander verbinden lässt, zeigt mir: Nach nun gut drei Monaten bin ich wirklich angekommen.




Donnerstag, 8. November 2012

Gedankenströme

Die Zeit plätschert unaufhaltsam über Stock und Stein, mal wild, mal sanft und blau, mal schnell, mal träge und gemächlich. In Deutschland neigt sich jetzt wohl der Herbst dem Ende zu, und von hier aus hören wir gebannt zu, wie ihr von Kälte, Schnee und dicken Jacken erzählt.
Unser Alltag ist leuchtend grün angemalt, mit verspielten roten und blauen und gelben Tupfern und Kreiseln und Spritzern aller Farben der Welt. Nein, Neid kommt hier nicht auf.

"Pura Vida!" pflegen die Ticos zu sagen und auch wenn dieser Ausdruck von allen, die mit Touristen zu tun haben, ziemlich plattgetrampelt und langgezogen wird, so ist es doch schwer, sich seiner Aussage zu entziehen. Und auch nicht nötig, denn das Pure Leben packt mich, schüttelt mich und zeigt mir die Schönheit des Einfachen. Ich habe keinen festen Stundenplan, keine Zeit in meinem Wecker gespeichert, keine festen Aufgaben. Arbeit und Freizeit vermischen sich zu einem Lebensrezept, das mir momentan ziemlich gut schmeckt.
Wer jetzt den Eindruck hat, ich läge den ganzen Tag auf der faulen Haut, der liegt falsch. Vielmehr ist es so, dass mir freisteht, zu arbeiten, und dass ich mir deshalb alles, was ich tu, selbst auferlegt habe. Ich mache also das, was mir Spaß macht oder sinnvoll erscheint, was einen kurz- oder langfristigen Nutzen hat, andere oder mich selbst irgendwie weiterbringt. Jeden Tag warten neue Aufgaben, jeder Tag ist anders, auch wenn als größter Teil meiner "Arbeit" die Jugendgruppe und das Baumhaus fest verwurzelt stehen.
Zwei Monate- ist das viel?
Alle paar Tage kommt dann der Moment, in dem ich stehen bleibe, mich umgucke, ein- oder zweimal tief einatme und aufsauge, was mich umgibt. "Was tu ich hier eigentlich? Wo bin ich hier überhaupt?"
Nein, normal ist das nicht. Auch wenn der Alltag mir heimlich hinterherschleicht und ab und zu mein Leben einzuhüllen versucht. Schafft er aber nicht. Besonders der Regenwald haut mich immer wieder um, da kann ich noch so oft über die verwunschenen Pfade streifen. Das Barfußlaufen macht glücklich und nicht selten muss ich einfach lachen: Ja, ich bin ein Glückskind.

Gut, gut, ich weiß, dass ich hier kein Märchen schreibe. Natürlich gibt es Schwierigkeiten und Probleme.
Die Visaangelegenheiten, haben sich noch immer nicht geklärt und es gab Probleme bei der Geldübertragung von Kolping an die Familien, was in meinem Fall ziemlich extrem war weil das Geld einfach gefehlt hat um Essen zu kaufen und ich hoffe, dass sich das endlich, wie angekündigt, klärt. Darüber möchte ich mich aber hier nicht auslassen, wer möchte, fragt einfach.

Oh, ich wollte euch auch noch bezüglich Baumhaus auf dem Laufenden halten: Mittlerweile haben wir uns getraut, den Baumbesitzer zu fragen, ich mit schlotternden Knien, weil von seiner Zustimmung so viel abhing. Aber ich hätte mir gar keine Sorgen machen sollen, Aino gab nicht nur sein Einverständnis, sondern schenkt uns nun auch noch eine Menge Holz, was das Ganze für uns extrem vereinfacht. Die meisten Kosten fallen nun dafür an, die geschenkten Bäume zurechtsägen zu lassen, sowie einen Metallpfosten, Werkzeug, Schrauben, u.ä. zu kaufen. Momentan sind wir also dabei, sowohl mit, als auch ohne die Jugendlichen Spenden zu sammeln (da sind wir ja Spezialisten) und mit Essenverkäufen Geld zu verdienen.
Soviel zum aktuellen Stand der Dinge.

Pura Vida!


P.S.: ich erwarte sehnsüchtig den Sommer, die regenfreie Zeit...:)