Wer
den Blog verfolgt, weiss aus Flos letztem Eintrag, dass wir auf
Reisen waren. Aber meine Fährte verliert sich dann in El Salvador
mit seinen Worten
„Gleichzeitig
ist es auch Paulas letzter Tag, ehe sie nach Mexico weiterfliegt.“
Paula fliegt also nach Mexico. Verrûckt.
Die
Familie meines mexicanischen Ex-Gastbruders Marco hatte mich zu sich
nach Hause eingeladen und ich hatte begeistert zugesagt. Mexico ist
ûberwältigend, schon der Anflug auf diese Monsterstadt hat mir den
Atem genommen und die Mayapyramiden und Ruinen sind der pure
Wahnsinn. Schaut euch meine Fotos an und lasst euch von Glanz und
Farbe ûberzeugen.
Den
Rûckweg von Mexico nach Costa Rica trat ich per Bus an, durchquerte
Guatemala, Belize, Honduras und Nicaragua, machte hier und dort ein
paar Tage Stopp, sah von allem ein kleines bisschen und sammelte
flûchtige, aber auch bleibende Eindrûcke.
Es
war eine wundervolle Zeit.
Hier
werde ich mich jetzt auf eine von tausend erlebten Geschichten
beschränken, die beeindruckendste, die definitiv nicht ansatzweise von Fotos erzählt
werden kann.
Im
Vorhinein eine Anmerkung: Jegliche Fragen oder
Kommentare der Kathegorie „Paula, bist du völlig wahnsinnig?“
oder „Das wird noch ûbel enden mit dir.“ könnt ihr euch getrost
sparen. Ich hab sie mir allesamt selbst schon durch den Kopf gehen
lassen. Etwa so:
Paula, welcher Teufel hat dich schon
wieder geritten? Glaubst du etwa, die Reisewarnungen des Auswärtigen
Amtes seien Produkte der Langeweile der Diplomaten und die Berichte
von Kriminalität und Unsicherheit in Honduras nur lustige
Geschichten? Kaum bist du allein unterwegs, forderst du das Glûck,
das dir immer so treu beisteht, zum Duell heraus!
Okay, die Fahrt in Bus und Boot von
Belize nach Guatemala waren ruhig und einfach (auch wenn du dich im
Boot ruhig mal wie angewiesen nach hinten hättest setzen können,
dann hättest du jetzt keine Rûckenschmerzen.). Aber musstest du
dich dann unbedingt in den kleinsten, kaputtesten Zuckelbus zur
Frontera setzen? Das war ja abzusehen, dass der auf halber Strecke
schlappmacht, irgendwo im Nichts. Dass du nicht ausgeraubt und
vergewaltigt wurdest, als irgendwann alle Frauen ausgestiegen waren
und du allein mit 3 Männern durch die Dämmerung fuhrst...pures
Glûck! Du hättest so eine zweistûndige Verspätung echt mit
einplanen mûssen, dann wärst du nicht im Dunkeln an der Grenze
Guatemala- Honduras angekommen, was dir jeder dringendst abgeraten
hatte. Und wie kannst du so unverschämt dumm sein, nicht genug
Quetzales (Guatemaltekisches Geld) zum Bezahlen der Ausreise-Steuern
dabei zu haben? Du bist so gnadenlos naiv und irgendwie bleibt das
Glûck ja auch immer an deiner Seite! Ausgerechnet den nettesten
Migrationsbeamten der Welt zu treffen, der nicht nur die Hälfte des
aus Belize-Dollern, Quetzales, Pesos und US-Dollern
zusammengekratzten Geldes akzeptiert, sondern sich auch noch um deine
Weiterreise sorgt! Denn natûrlich fahren zu der Zeit keine Busse
mehr nach San Pedro Sula und sonst auch nirgens hin. Immer damit zu
rechnen, dass die Leute ihre Connections fûr dich spielen lassen,
das wird nochmal gewaltig schief gehen... stell dir vor, du hättest
da an dieser gruseligen Grenze schlafen mûssen, allein, mit allen
deinen Sachen. Aber nein, Paula-im-Glûck bekommt einen Namen,
„Jack“, mit auf den Weg und wird zu einem gelben Bus geschickt,
der eigentlich schon hätte abgefahren sein mûssen.
„Frag, ob sie
dich mitnehmen. Und renn!!“
Und gutgläubig wie eh und je hechtest
du dann in diesen Bus, ohne dich vorher auch nur einmal zu fragen,
was da so fûr Leute drin transportiert werden! Ich fass es nicht!
So, ya, genug davon, genug geschimpft.
Jetzt fängt das Abenteuer an:
„Komm rein, komm rein!“, winkt mich
eine Frau durch und ich setze mich in die letzte Reihe. Der Bus ist
voller aufgedrehter Jugendlicher, die mich heimlich angaffen und
pfeifen. „Son estudiantes?“, frage ich das Mädchen vor mir,
immerhin steht auf dem Bus dick und fett Transporte de
estudiantes, aber sie sieht mich mit einem Blick an, der
alles und nichts sagt. „Nein. Wir sind Abgeschobene.“ Deportados,
Moment mal, dieses Wort hatte ich doch schon unendlich oft im
Spanisch-Unterricht gehört. Deportados..
„Wir wollten in die Staaten, aber sie
haben uns erwischt.“, fährt sie fort. „Wir sind Hondurenos.“
„Seid ihr alle zusammen unterwegs?“ Da lacht sie: „Nein. Ich
bin allein.“ Sie sei 14 Jahre alt, sagt sie auf meine erstaunte
Nachfrage, und dort in den Staaten wäre ein Grossonkel von ihr oder
so etwas. Mehr wisse sie nicht. Verwunderlich wär das nicht,
immerhin leben momentan rund 1,6 Millionen Hondurenos in den USA,
mehr als die Hälfte davon illegal.
Die beiden Jungs neben ihr haben sich
zu mir umgedreht. „Wir sind sogar bis Mexico gekommen! Wir haben
den Fluss ûberquert aber dann haben sie uns geschnappt. In einem Tag
haben wir es von San Pedro durch ganz Guatemala bis zur Grenze von
Mexico geschafft! Und dann waren wir dort drei Tage im Gefängnis.“
Wie weggetreten höre ich mir ihre
Geschichten an, bis irgendwann Jack zu mir kommt, der eine
Namensliste ûberprûft. Als ich ihm fûrs Mitnehmen danke und ihn
nach einem Hostel in der Nähe frage, schlägt er vor, ich solle doch
die Nacht in ihrem Auffanglager bleiben und er wûrde mir morgen frûh
im Hellen zeigen, wie ich zum richtigen Bus käme. Ich ûberlege
nicht lange. Die Geschichten sind superspannend, die Kids
beeindrucken mich mit ihrer Offenheit und die Gelegenheit, einen
Abschiebungsprozess so hautnah mitzuerleben, bekomme ich nie wieder.
Als wir nach stundenlanger ratternder
Fahrt in San Pedro Sula einfahren, werden meine Mitfahrer immer
aufgeregter- und ich wundere mich ûber die Grösse und Hässlichkeit
der Stadt, die laut Jack die gefährlichste Stadt Honduras' ist. Die
meisten der Jugendlichen sollen hier von ihren Angehörigen abgeholt
werden, viele nach einer langen Zeit, ohne ein Lebenszeichen von sich
zu geben. Ca. 15 Jungs sind von weiter weg und schlafen im Lager,
das, wie Jack mir erklärt, staatlich finanziert wird. Jeden Montag
und Donnerstag fährt er mit dem gelben Bus zur Grenze, ûbernimmt
30-40 Jugendliche, die in den USA, Mexico oder Guatemala aufgegriffen
worden waren, oft weil sie kriminell aufgefallen waren, verteilt
Tûten mit Klopapier, Saft, Zahnbûrsten- und pasta, Keksen und
Seife, fährt sie nach San Pedro Sula, ûbergibt sie erst einem
Doktor und dann einer Sozialarbeiterin (die Dame, die mich im Bus
empfangen hatte), stellt ihnen fûr eine Nacht ein Bett zur Verfûgung
und schärft ihnen ein, Honduras sei schön und es lohne sich nicht,
zu emigrieren. Trotzdem tun es viele, wie ich hinterher erfahre,
immer wieder, manche sind schon beim fûnften Mal.
Ein grosser, muskulöser Junge mit
Kinderaugen erzählt, er sei ûber den Río Bravo gekommen und wurde
auf der anderen Seite von der Migra mit Kanonen im Anschlag begrûsst.
Daraufhin habe er drei Monate in den Staaten im Gefängnis verbracht,
bis er in den Bus zurûck nach Honduras gesteckt wurde. „Jetzt bin
ich wieder hier- pero al fin libre.“
Sie waren nett zu ihnen im Gefängnis.
Es gab Essen und sie konnten Trommelkurse machen oder Bilder malen.
Viele haben bunte Bilder dabei, als Andenken fûr die Familie. Para
mi Mami heissen viele der
herzenbedeckten Papierbögen, die diese gezeichneten jungen Menschen
wie Schätze mit sich herumtragen. Fast alle, die ich frage, wûrden
es in ein, zwei Monaten erneut probieren. Eine neverending-story.
Wie sie die Grenzen
ûberqueren? Es seien ja, ausser bei der USA-Grenze, nicht ûberall
Wachtposten, man schlage sich halt durchs Gebûsch. Warum sie nicht
versuchen, einen Pass zu bekommen um legal zu passieren? Unsinn- Man
bekommt keinen Pass, wenn man kein Land besitzt und kein Konto auf
einer Bank nachweisen kann. Aussichtslos.
Ich
komme mit zwei Brûdern ins Gespräch, die erzählen, ihr dritter
Bruder sei schon seit zwei Jahren drûben, er habe einfach eine
gringa geheiratet. Die
beiden sind supernett und kûmmern sich rûhrend um mich, erinnern
Jack daran, mir ein Bett zuzuweisen, sorgen dafûr, dass ich Essen
bekomme, schenken mir Kekse und stehen am nächsten Tag um 4 Uhr auf,
um mich zum Bus zu begleiten. Einfach so, ohne etwas dafûr zu
erwarten. Ein Gefûhl sagt mir, dass mir bei ihnen nichts passieren
wird, auch nicht, als wir noch im Dunkeln Jack verabschieden und
durch die hässlichsten Viertel laufen, immer der Beschreibung nach.
Meine Fûsse, seit Mexico barfuss, fangen an, weh zu tun, aber ich
finde es viel zu aufregend, geschûtzt von dieser Gruppe Jungs, von
denen nicht wenige selbst kriminell sind, durch die engen Gassen des
riesigen, dunklen San Pedro Sula zu laufen. Als wir endlich beim
Terminal ankommen, dämmert es grade, die Jungs fragen sich fûr mich
zu meiner Bushaltestelle durch, wo wir feststellen mûssen, dass der
Bus um 5:00 am, vor 10 Minuten gefahren war. Meine einzige Option:
Mich in ein Hostel fahren zu lassen, wo ich ein Ticket fûr morgen
kaufen kann.
„Wenigstens hast
du dann gleich auch einen sicheren Ort zum Bleiben.“ stellt einer
meiner neuen Freunde fest. Zum Abschied umarme ich sie, noch immer
von ihrer rûhrenden Besorgtheit beeindruckt.
Das Taxi versetzt
mich in eine andere Welt. Im Hostel kaufe ich mein Ticket und schlafe
bis 11 Uhr.
Sie haben mir ihre
Namen nicht gesagt.
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