Samstag, 11. Mai 2013

Gratis Saft und Seife

 
Wer den Blog verfolgt, weiss aus Flos letztem Eintrag, dass wir auf Reisen waren. Aber meine Fährte verliert sich dann in El Salvador mit seinen Worten 

Gleichzeitig ist es auch Paulas letzter Tag, ehe sie nach Mexico weiterfliegt.“  

Paula fliegt also nach Mexico. Verrûckt.
Die Familie meines mexicanischen Ex-Gastbruders Marco hatte mich zu sich nach Hause eingeladen und ich hatte begeistert zugesagt. Mexico ist ûberwältigend, schon der Anflug auf diese Monsterstadt hat mir den Atem genommen und die Mayapyramiden und Ruinen sind der pure Wahnsinn. Schaut euch meine Fotos an und lasst euch von Glanz und Farbe ûberzeugen.
Den Rûckweg von Mexico nach Costa Rica trat ich per Bus an, durchquerte Guatemala, Belize, Honduras und Nicaragua, machte hier und dort ein paar Tage Stopp, sah von allem ein kleines bisschen und sammelte flûchtige, aber auch bleibende Eindrûcke.
Es war eine wundervolle Zeit.
Hier werde ich mich jetzt auf eine von tausend erlebten Geschichten beschränken, die beeindruckendste, die definitiv nicht ansatzweise von Fotos erzählt werden kann.

Im Vorhinein eine Anmerkung: Jegliche Fragen oder Kommentare der Kathegorie „Paula, bist du völlig wahnsinnig?“ oder „Das wird noch ûbel enden mit dir.“ könnt ihr euch getrost sparen. Ich hab sie mir allesamt selbst schon durch den Kopf gehen lassen. Etwa so:

Paula, welcher Teufel hat dich schon wieder geritten? Glaubst du etwa, die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes seien Produkte der Langeweile der Diplomaten und die Berichte von Kriminalität und Unsicherheit in Honduras nur lustige Geschichten? Kaum bist du allein unterwegs, forderst du das Glûck, das dir immer so treu beisteht, zum Duell heraus!
Okay, die Fahrt in Bus und Boot von Belize nach Guatemala waren ruhig und einfach (auch wenn du dich im Boot ruhig mal wie angewiesen nach hinten hättest setzen können, dann hättest du jetzt keine Rûckenschmerzen.). Aber musstest du dich dann unbedingt in den kleinsten, kaputtesten Zuckelbus zur Frontera setzen? Das war ja abzusehen, dass der auf halber Strecke schlappmacht, irgendwo im Nichts. Dass du nicht ausgeraubt und vergewaltigt wurdest, als irgendwann alle Frauen ausgestiegen waren und du allein mit 3 Männern durch die Dämmerung fuhrst...pures Glûck! Du hättest so eine zweistûndige Verspätung echt mit einplanen mûssen, dann wärst du nicht im Dunkeln an der Grenze Guatemala- Honduras angekommen, was dir jeder dringendst abgeraten hatte. Und wie kannst du so unverschämt dumm sein, nicht genug Quetzales (Guatemaltekisches Geld) zum Bezahlen der Ausreise-Steuern dabei zu haben? Du bist so gnadenlos naiv und irgendwie bleibt das Glûck ja auch immer an deiner Seite! Ausgerechnet den nettesten Migrationsbeamten der Welt zu treffen, der nicht nur die Hälfte des aus Belize-Dollern, Quetzales, Pesos und US-Dollern zusammengekratzten Geldes akzeptiert, sondern sich auch noch um deine Weiterreise sorgt! Denn natûrlich fahren zu der Zeit keine Busse mehr nach San Pedro Sula und sonst auch nirgens hin. Immer damit zu rechnen, dass die Leute ihre Connections fûr dich spielen lassen, das wird nochmal gewaltig schief gehen... stell dir vor, du hättest da an dieser gruseligen Grenze schlafen mûssen, allein, mit allen deinen Sachen. Aber nein, Paula-im-Glûck bekommt einen Namen, „Jack“, mit auf den Weg und wird zu einem gelben Bus geschickt, der eigentlich schon hätte abgefahren sein mûssen. 
„Frag, ob sie dich mitnehmen. Und renn!!“
Und gutgläubig wie eh und je hechtest du dann in diesen Bus, ohne dich vorher auch nur einmal zu fragen, was da so fûr Leute drin transportiert werden! Ich fass es nicht!

So, ya, genug davon, genug geschimpft. Jetzt fängt das Abenteuer an:

„Komm rein, komm rein!“, winkt mich eine Frau durch und ich setze mich in die letzte Reihe. Der Bus ist voller aufgedrehter Jugendlicher, die mich heimlich angaffen und pfeifen. „Son estudiantes?“, frage ich das Mädchen vor mir, immerhin steht auf dem Bus dick und fett Transporte de estudiantes, aber sie sieht mich mit einem Blick an, der alles und nichts sagt. „Nein. Wir sind Abgeschobene.“ Deportados, Moment mal, dieses Wort hatte ich doch schon unendlich oft im Spanisch-Unterricht gehört. Deportados..
„Wir wollten in die Staaten, aber sie haben uns erwischt.“, fährt sie fort. „Wir sind Hondurenos.“ „Seid ihr alle zusammen unterwegs?“ Da lacht sie: „Nein. Ich bin allein.“ Sie sei 14 Jahre alt, sagt sie auf meine erstaunte Nachfrage, und dort in den Staaten wäre ein Grossonkel von ihr oder so etwas. Mehr wisse sie nicht. Verwunderlich wär das nicht, immerhin leben momentan rund 1,6 Millionen Hondurenos in den USA, mehr als die Hälfte davon illegal.
Die beiden Jungs neben ihr haben sich zu mir umgedreht. „Wir sind sogar bis Mexico gekommen! Wir haben den Fluss ûberquert aber dann haben sie uns geschnappt. In einem Tag haben wir es von San Pedro durch ganz Guatemala bis zur Grenze von Mexico geschafft! Und dann waren wir dort drei Tage im Gefängnis.“
Wie weggetreten höre ich mir ihre Geschichten an, bis irgendwann Jack zu mir kommt, der eine Namensliste ûberprûft. Als ich ihm fûrs Mitnehmen danke und ihn nach einem Hostel in der Nähe frage, schlägt er vor, ich solle doch die Nacht in ihrem Auffanglager bleiben und er wûrde mir morgen frûh im Hellen zeigen, wie ich zum richtigen Bus käme. Ich ûberlege nicht lange. Die Geschichten sind superspannend, die Kids beeindrucken mich mit ihrer Offenheit und die Gelegenheit, einen Abschiebungsprozess so hautnah mitzuerleben, bekomme ich nie wieder.
Als wir nach stundenlanger ratternder Fahrt in San Pedro Sula einfahren, werden meine Mitfahrer immer aufgeregter- und ich wundere mich ûber die Grösse und Hässlichkeit der Stadt, die laut Jack die gefährlichste Stadt Honduras' ist. Die meisten der Jugendlichen sollen hier von ihren Angehörigen abgeholt werden, viele nach einer langen Zeit, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben. Ca. 15 Jungs sind von weiter weg und schlafen im Lager, das, wie Jack mir erklärt, staatlich finanziert wird. Jeden Montag und Donnerstag fährt er mit dem gelben Bus zur Grenze, ûbernimmt 30-40 Jugendliche, die in den USA, Mexico oder Guatemala aufgegriffen worden waren, oft weil sie kriminell aufgefallen waren, verteilt Tûten mit Klopapier, Saft, Zahnbûrsten- und pasta, Keksen und Seife, fährt sie nach San Pedro Sula, ûbergibt sie erst einem Doktor und dann einer Sozialarbeiterin (die Dame, die mich im Bus empfangen hatte), stellt ihnen fûr eine Nacht ein Bett zur Verfûgung und schärft ihnen ein, Honduras sei schön und es lohne sich nicht, zu emigrieren. Trotzdem tun es viele, wie ich hinterher erfahre, immer wieder, manche sind schon beim fûnften Mal.
Ein grosser, muskulöser Junge mit Kinderaugen erzählt, er sei ûber den Río Bravo gekommen und wurde auf der anderen Seite von der Migra mit Kanonen im Anschlag begrûsst. Daraufhin habe er drei Monate in den Staaten im Gefängnis verbracht, bis er in den Bus zurûck nach Honduras gesteckt wurde. „Jetzt bin ich wieder hier- pero al fin libre.“
Sie waren nett zu ihnen im Gefängnis. Es gab Essen und sie konnten Trommelkurse machen oder Bilder malen. Viele haben bunte Bilder dabei, als Andenken fûr die Familie. Para mi Mami heissen viele der herzenbedeckten Papierbögen, die diese gezeichneten jungen Menschen wie Schätze mit sich herumtragen. Fast alle, die ich frage, wûrden es in ein, zwei Monaten erneut probieren. Eine neverending-story.
Wie sie die Grenzen ûberqueren? Es seien ja, ausser bei der USA-Grenze, nicht ûberall Wachtposten, man schlage sich halt durchs Gebûsch. Warum sie nicht versuchen, einen Pass zu bekommen um legal zu passieren? Unsinn- Man bekommt keinen Pass, wenn man kein Land besitzt und kein Konto auf einer Bank nachweisen kann. Aussichtslos.
Ich komme mit zwei Brûdern ins Gespräch, die erzählen, ihr dritter Bruder sei schon seit zwei Jahren drûben, er habe einfach eine gringa geheiratet. Die beiden sind supernett und kûmmern sich rûhrend um mich, erinnern Jack daran, mir ein Bett zuzuweisen, sorgen dafûr, dass ich Essen bekomme, schenken mir Kekse und stehen am nächsten Tag um 4 Uhr auf, um mich zum Bus zu begleiten. Einfach so, ohne etwas dafûr zu erwarten. Ein Gefûhl sagt mir, dass mir bei ihnen nichts passieren wird, auch nicht, als wir noch im Dunkeln Jack verabschieden und durch die hässlichsten Viertel laufen, immer der Beschreibung nach. Meine Fûsse, seit Mexico barfuss, fangen an, weh zu tun, aber ich finde es viel zu aufregend, geschûtzt von dieser Gruppe Jungs, von denen nicht wenige selbst kriminell sind, durch die engen Gassen des riesigen, dunklen San Pedro Sula zu laufen. Als wir endlich beim Terminal ankommen, dämmert es grade, die Jungs fragen sich fûr mich zu meiner Bushaltestelle durch, wo wir feststellen mûssen, dass der Bus um 5:00 am, vor 10 Minuten gefahren war. Meine einzige Option: Mich in ein Hostel fahren zu lassen, wo ich ein Ticket fûr morgen kaufen kann.
„Wenigstens hast du dann gleich auch einen sicheren Ort zum Bleiben.“ stellt einer meiner neuen Freunde fest. Zum Abschied umarme ich sie, noch immer von ihrer rûhrenden Besorgtheit beeindruckt.

Das Taxi versetzt mich in eine andere Welt. Im Hostel kaufe ich mein Ticket und schlafe bis 11 Uhr. 

Sie haben mir ihre Namen nicht gesagt.

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