Donnerstag, 6. September 2012

Mein erster Tag in Longo Mai







Mein erster Tag in Longo Mai begann für mich wie ein Abenteuer in einer anderen Welt und ist gleichzeitig für die Menschen hier tägliche Routine. Um Punkt 5.00 Uhr weckten mich unsere Hähne, die ugefähr so anmutig klingen wie ein vierzehnjähriger Junge im Stimmbruch, der versucht eine Arie zu schmettern. Meine Gastmutter, Doña Marta, setzte mir eine Schüssel vor die Nase, in der Reis zur Höhe des Himmalayas aufgetürmt war, garniert mit allen Bohnen, die man im Dorf auftreiben konnte. Dazu gab es Platanos (gebratene Kochbananen) und ein Stück Käse, der aussah wie ein Schwamm und schmeckte wie ein Schwamm mit Essig. Nachdem ich den dreiviertel Liter Kaffee runtergeschluckt hatte, ging ich in den Regenwald, um Roybin, Martas Enkel, beim Bambusfällen zu helfen. Alleine der Weg war für mich unfassbar schön. Eine solche Natur, die Pflanzen, die Bäume, den reißenden Fluss, den man bereits aus kilometerweiter Entfernung rauschen hörte, hatte ich bis dahin nur im Bilderbuch oder Fernsehreportagen gesehen. Da stand ich nun auf einer weiten, grünen Weide und schaute auf den Regenwald, den Bambus und die Palmen vor mir, ringsum im Hintergrund die Berge, auf denen der Nebel wie ein Tuch lag und hörte das Zirpen der Grillen und das kleckernde Geräusch der Vögel. Dann ging es hinein, immer weiter, durch dichtes Gestrüpp, über Blätter und kleine Bäche, die aus den Felsen kamen. Teilweise war ein Passieren nur möglich, wenn wir uns mit der Machete den Weg bahnten. "Genau wie im Film!", dachte ich die ganze Zeit. Nach zwanzig Minuten, die mir vorkamen wie eine Stunde, kamen wir an eine Lichtung, an der Roybin und Simon, ein Zivi aus Österreich, bereits fleißig werkelten. Die Einarbeitung ging schnell und es machte mir zunehmend mehr Spaß, den Bambus mit der Machete zu fällen und zurechtzuschneiden. Einmal setzte ich einen schnellen, präzisen Schnitt am Bambusstamm an, trennte ihn sauber ab und entfernte mit einem zweiten Vertikalschlag alle abstehenden Äste gründlich. Roybin und sein Cousin Fernano klappten die Münder auf. "Nicht schlecht für einen Ausländer, was?!", fragte ich und grinste mir in den Bart, wohl wissend, das Fortuna ihre Hände beim zweiten Schnitt gnädig im Spiel hatte. Insgesamt machte mir die Aufgabe großen Spaß, auch wenn es bei dem tropischen Klima harte Arbeit ist. Weniger Spaß macht anschließend das Schleppen der Bambusstapel, die zuvor mit Lianen zusammengebunden werden. Um 11.00 Uhr zurück zu Hause, freute ich mich bereits auf Reis mit Bohnen, um Energie zu tanken. Im Anschluss ging es das erste Mal im berühmten Fluss baden, wo ich Paula und andere Freiwillige aus Longo Mai traf. Das Wasser ist nicht nur erfrischend kühl, sondern auch absolut rein, trinkbar und darüber hinaus richtig lecker - eine willkommene Abwechslung zum gechlorten Trinkwasser in den Häusern. Wir kletterten über Steine und sprangen von den Felsen in den aufschäumenden Fluss. Später am Nachmittag machten wir Schmuck in der Artesanía von Maritza, der Tochter von Doña Marta, und am Abend trafen wir uns mit allen Freiwilligen in der Casa Zivi, wo wir beschlossen, schon bald Tanzunterricht in Bachata, Salsa und Merengue zu nehmen. Schon am nächsten Tag wollen wir nach Peréz Zeledón (so nennen die Ticos San Isidro), um David und Hanna im Zirkus zu besuchen.
Costa Rica ist für mich bisher das reinste Paradies. Fauna und Flora sind unglaublich schön, die Menschen empfangen uns herzlich und scherzen viel mit uns und wir erleben jeden Tag so viel aufregendes Neues, lernen so viele interessante Menschen kennen, dass wir kaum hinterher kommen, alles festzuhalten. Auch das Essen ist hier weder eintönig, denn das Entscheidende sind die Beilagen zu Reis und Bohnen, die hier wie Brot zu jeder Mahlzeit gereicht werden, noch bekommt es uns schlecht - im Gegenteil. Außerdem laben wir uns förmlich an den heimischen Früchten. Hunderte bekannte wie Ananas (!), Mango, Papaya, Banane, Kokos oder Orange, die süßer, saftiger und fruchtiger sind als die importierten in der Heimat und noch einmal zehnfach so viele unbekannte wie Momones oder Guanabana (!), die geschmacklich auf der Zunge explodieren. Himmlisch schmecken sie auch als Jugo, also als Saft mit Eis, den man überall kaufen oder einfach selber machen kann.
Natürlich gibt es auch Dinge, die mir nicht gefallen oder an die ich mich noch gewöhnen muss, wie z.B. die kalten Duschen oder die größtenteils rudimentären sanitären Anlagen, aber das Schöne überwiegt deutlich! Um alles verarbreiten zu können, brauche ich meinen Schlaf. Den bekomme ich früh genug, hier ist es bereits ab 18.00 Uhr stockfinster und die Leute im Dorf sind ab 20.00 Uhr im Bett.




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